Davor Ljubičić  

Krieg sichten

Über Davor Ljubičić


Der Krieg stellt seit jeher eine Zäsur im Schaffen derjenigen Künstler dar, die das Unglück hatten, ihn aus unmittelbarer Nähe zu erleben. Diese, an die Plattitüde grenzende Wahrheit zeigt sich in vollem Licht in jenen Momenten, in denen sie vom Gebiet der abstrakten Verallgemeinerung ins Konkrete übergeht. Die Kriege im ehemaligen Jugoslawien zwangen viele Autoren, die als verspielt postmodern galten, in eine neue Welt der sinnlosen Gewalt, die sich allen Versuchen der Repräsentation hartnäckig verweigerte. Das führt, man ist zu solch einer Formulierung versucht, zu Brüchen in der Poetik, die an der Grenze zur Tilgung des Vergangenen, einer Löschung der Zeichen, die auf eine bestimmte Zeit verweisen, in der man auch Spaß beim Schaffen spüren und vermitteln konnte, stehen. Der ironische Blick auf die Welt, immer auch ihrer Verkehrung bewusst, dieser Karneval der Gefühle, in dem sich eine provozierende Suche nach der neuen Wahrheit und der neuen Wirklichkeit wiederspiegelte, musste vor neuen Herausforderungen zurückschrecken.
Einer der wichtigsten Vertreter dieser in Frieden und Wohlstand großgewordenen     Künstlergeneration, die die Kriege in Kroatien und Bosnien und Herzegowina als einen tiefen Einschnitt in ihre Weltanschauung erlebten, ist zweifellos Davor Ljubičić. Seine Vorkriegswerke sind ein Sammelsurium von grotesken, makaberen und ironischen Ansätzen. Sie verraten eine Position des Künstlers, der sich von keiner Macht der Autorität hat abschrecken lassen. Seine unbeugsamen und vor keinen Tabus zurückschreckenden Interpretationen der Beziehung zwischen Kunst und Alltag haben aber immer eine Dimension der Heiterkeit beibehalten, die sich in karnevaleskem Humor entladen hat. Die Macht war da, um vorgeführt zu werden, obwohl bedrohlich konnte man sie in ihren Gewaltmanifestationen als verwundbar entblößen. Ein Beispiel für solch einen Umgang mit politisch ‚heißen’ Fragen stellt die Performance Arbeit = Kunst, Kunst ≠ Arbeit dar. Als Diplomarbeit konzipiert, zeigte sich diese Performance sofort als eine Provokation. Von den Behörden in Sarajevo genehmigt, entgleiste sie gleich in eine verwirrende Situation, wobei die Polizei den Künstler wegen Landfriedensbruchs kurzzeitig verhaftete. Der Humor ist trotzdem geblieben: eingeschrieben in die Gesichter der erstaunten Zuschauer, die dem (fast) nackten Körper des Künstlers begegneten, in der Ratlosigkeit der Polizisten, die mit Gewalt, aber trotzdem machtlos auf die Herausforderung reagierten.
Skizze für ein Bilderbuch aus den Jahren 1985-87 ist eine höchst komplexe Konstruktion, die sich aus Fotos, Erinnerungsstücken, Zeichnungen, Malereien zusammensetzt und deren sämtliche Komponenten darauf ausgerichtet sind, ein Bilderbuch zusammenzustellen, das sich in einer unheimlichen Mischung niedlicher Wesen und Monstergestalten als eine Sammlung von grotesken, makaberen, morbiden, immer wieder ironisch gebrochenen, an die Collage erinnernden Teilstücken selbst perpetuiert. Die ernsthafte Welt verschwindet hinter den Kulissen des Märchenhaften, verliert sich in den Labyrinthen in denen, mit den Worten des Künstlers, „Die Morde mit einem unschuldigen Hintergrund passieren.“
Mit einem unschuldigen Hintergrund? Ab 1991 geht in Jugoslawien die Unschuld verloren. Der Karneval geht zu Ende und die Farbenfröhlichkeit weicht vor den düsteren schwarz-weißen Objekten auf. Abdruck der Stadt (Raum des Atmens) von 1994 ist eine Rauminstallation, die in der Wesenberg-Galerie in Konstanz ausgestellt wurde. Andrea Hofmann beschreibt die Installation auf folgende Weise:
Seit seiner Übersiedlung in den Westen hat Davor Ljubičić damit begonnen, Objekte mit Graphit zu imprägnieren. Mit Abdruck der Stadt weitet er den Vorgang auf die Stadt, in der er nun als Fremder lebt, aus. Eine Stadt, deren pittoreskes Erscheinungsbild Prosperität und Selbstzufriedenheit bekundet. Unter Mithilfe von Teilnehmern eines Workshops, Bürgern der Stadt, nimmt er Graphitabriebe auf Papier von Straßen- und Wandstücken, von Wohnungseinrichtungen. Mit diesen kleidet er dann die Wände und den Vierpass der Decke im Durchgang des Wessenberghauses, der städtischen Kulturinstitution, aus. Den Aspekt der menschlichen Arbeit, auch des Physischen, wieder aufgreifend, hängt er die Anzüge, mit denen die Mitarbeiter während der Aktion bekleidet waren, dazu. Und in die Mitte des Raumes stellt er ein Tonband, beleuchtet von einer nackten Glühbirne, das seine eigene Atemgeräusche konserviert – doch das Tonband bleibt stumm, es fehlt ihm der Stecker. In einer abschließenden Performance werden die Papierbögen in einem Aluminiumkasten eingeschweißt und an die Stadt übergeben. (Andrea Hofmann, „Graphitieren und Imprägnieren“, in: Davor Ljubičić, Ad usum internum, Konstanz s.a., S. 8.)
Diese treffende Beschreibung hält vor den Hauptaufgaben der hermeneutischen Arbeit an. Ist es tatsächlich nur die Stadt im Westen, die mit ihrem Wohlstandsgefühl den Künstler überflutet und ihn als einen fremden Teilnehmer der unberührten Schönheit zeichnet? Oder sind die ‚Abdrücke der Stadt’ erst in ihrem systematischen und konstruierten Hermetismus das, was ein dunkles Gefühl der Ausweglosigkeit erzeugt?
Tatsächlich, den hellen, weißen Wänden des Raums wurde durch die dicht aufgetragene Graphitschicht ein Rahmen für das angedeutete Geschehen gegeben. Dicht am Rand der Stuckatur aufgehängte Arbeitskleidung, mit Ziffern und Buchstaben gekennzeichnet, kontrastieren den schwarzen Schimmer des Graphits, aber gleichzeitig sind sie nicht dazu fähig, anderes als farbige Kontraste zu erzeugen. Im semantischen Bereich bleiben sie buchstäblich an ihrer Leere hängen. Das Gespenstische des so präparierten Raums wird zusätzlich durch eine in die Mitte gestellte kleine Installation unterstrichen. Sie besteht aus einem Tonbandgerät und einer Glühbirne, die als einzige Lichtquelle im ganzen Raum dient. Diese Installation innerhalb der Installation, diese Ausstellung innerhalb der Ausstellung ist schon an sich klaustrophobisch. Raumausfüllend ist sie aber nicht im eigentlichen Sinne. Sie ist gescheitert, weil eine entscheidende Komponente fehlt: nämlich der Ton. Durch einen absichtlichen Akt des Künstlers ist das Kabel abgetrennt. Alles was die Betrachter über den Inhalt des Tonbandes wissen können, bekommen sie allein vom Autor vermittelt: Es handelt sich um eine Aufnahme seines Atmens. Überprüfen können sie es nicht.
Diese zusätzlichen Angaben können die Arbeit der Interpretation weiter treiben und zuspitzen: Die Zuschauer/Zuhörer könnten die Atemzüge des Künstlers hören, hören sie sie aber nicht, die Kommunikation ist gestört und gescheitert. Der Raum der Installation ist demnach abgeschottet; die Stimme von innen kann die schwarzen Wände nicht durchdringen. Das spärliche Licht der nackten Birne, eine Notbeleuchtung, verschärft zudem die klaustrophobische Atmosphäre. So wandelt sich der Raum in einen Raum der Belagerung. Die leeren, gesichtslosen, durch die weiße Bekleidung symbolisierten Menschen stehen für einen Belagerungsring, aus dem keine Stimme nach Außen dringen kann. Auf diese Weise scheint durch die ‚Abdrücke der Stadt’ Konstanz wie in einem Palimpsest eine andere Stadt durch: Sarajevo. Konstanz wird zu einer Nachahmung von Sarajevo. Der Krieg ist nicht vergangen. Er dauert auch in Deutschland an – immer noch, bis heute. Mit dieser Installation hört für Davor Ljubičić der Humor auf, seine heilende Rolle zu erfüllen; er wird aus seinen Werken getilgt. Übrig bleibt die schwarz-weiße, farblose Leere.  

Die Installation von Davor Ljubičić verstehen wir auch als Aufruf, sich dieses immer noch gegenwärtigen Krieges in unserer nächsten Ferne, dem Südosten Europas, zu stellen. Die Vergangenheit ist nicht vergangen – gerade nicht in der Kunst.

Dr. Davor Beganovic
 

 

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