Davor Ljubičić  


Zu Davor Lubicic’ „Gewalt-Bildern“, 2006

Das "G-B" im Titel dieser Ausstellung bedeutet "Gewalt-Bilder". Davor Ljubicic betrachtet dies als einen Titel wie jeden anderen auch - tiefere Bedeutung solle man ihm nicht zusprechen oder hineininterpretieren. Das ist allerdings leicht gesagt, leben wir doch in einer Epoche, die von kontinuierlicher politischer Gewalt bedroht, wenn nicht überlagert ist. Und Gewalt macht Menschen Angst. Diesen Zusammenhang darf man nicht übersehen. Warum also dann doch dieser Titel?
Davor will damit auf etwas aufmerksam machen, was in seinen hier gezeigten Werken zwar nur unterschwellig wirken kann, aber doch präsent ist. Es ist eine Wirkkraft, die sich im Prozess der Bildbetrachtung bemerkbar macht und viele Menschen vom rechten Weg der Wahrnehnung ablenkt; nämlich dem, beim Betrachten das Werk zu vollenden und damit eventuell den Absichten des Künstlers auf die Schliche kommen. Stattdessen wird viel über deprimierende Wirkung, Angstmacherei, Schwarzmalerei, Lebensabgewandtheit als definitiv gemunkelt. Aber der Künstler ist dem Leben sehr stark und positiv zugewandt. Und Leben ist auch und vor allem Physis ...
Jeder Lebensäußerung, also auch der Malerei als kultureller Lebensäußerung, hängt somit auch etwas Physisches an. Der Maler denkt ja seine Bilder nicht aufs Papier. Was bei der Bildhauerei unmittelbar einleuchtet, sollte den anderen bildenden Künsten nicht abgesprochen werden. Alle Kunst wird durch Kopf UND Hand, Geist UND körperlichen Einsatz hervorgebracht. Und diesen physischen Aspekt seiner Kunst, der dann ja auch aus dieser Kunst herausscheint, will Davor einmal betont und gezielt ansprechen. Ein Beispiel:
 
Wie man sehen kann, sind die hier gezeigten Werke Arbeiten auf Papier. Es handelt sich dabei sowohl um feinstes Bütten als auch um Packpapier. Beides sind keine Materialien, die man über Gebühr belasten sollte. Genau das tut Davor jedoch: allein schon die Farbe seiner Wahl, Graphitpulver gebunden durch doppelt gekochtes Leinöl, stellt eine erhebliche Belastung des Farbträgers dar. Denn das Leinöl ist aggressiv und zersetzt auf lange Sicht das Papier. Dafür tut es allerdings auch etwas wie eigenständig, denn es durchtränkt das Papier erheblich über die eigentlich bemalte Fläche hinaus. Die graphitierten Flächen bekommen dadurch eine Aura, die jedoch den Anschein erweckt, unter Umgehung der Schwerkraft habe die Graphitschicht das Öl aus sich herausgepresst oder wenigstens wie eine unwillkommene Komponente verdrängt. Im Grunde stellt die Aura ein besonderes ästhetisches Phänomen dieser Bilder dar, dies wird aber durch einen Akt der Materialvergewaltigung erkauft.
 
Gesteigert wird diese Komponente noch dadurch, dass die meisten Bilder dieser Serien Schichtbilder sind, aus zwei Lagen Papier bestehen. Es können zwei Lagen Bütten sein, zwei Lagen Packpapier oder Bütten auf Packpapier. Zum Teil werden beide Blätter bemalt, sodass die untere Lage durchscheinen kann und erst so das Bild im Sinne des Künstlers vollendet. Auf jeden Fall dringt das Leinöl des Farbauftrags auch in das jeweils andere Blatt ein und durchtränkt es. Dadurch verkleben die Blätter zumindest in den durchtränkten Teilen und bilden auch so eine Einheit. Aufgehoben wird diese Einheit dann jedoch wieder dadurch, dass die Opazität des Deckblattes erst dadurch zur Erscheinung tritt, dass dieses eben nicht völlig undurchsichtig ist und das Unterblatt durchscheinen lässt. Hier verschmelzen dann also zwei eigenständige Wesen zu einem einheitlichen Gesamtwerk. Fände keine gegenseitige Durchdringung und Verschmelzung statt, sondern eine nur einseitige ohne Verschmelzung, so würde man dies gemeinhin Penetration nennen, und eine Penetration wird in der moderneren Debatte, vor allem über ihre sexuellen Implemente, immer als Akt der Gewalt definiert, also etwas vorderhand und rücksichtslos Physisches. In der Malerei als solcher hinterlässt dies zwar vor allem keine psychischen Folgen, es deutet aber auf eine Möglichkeit der Begriffskorrektur hin, die eine neue Grenzziehung oder auch deren Aufhebung zwischen Incubus und Succubus zulassen könnte. Denn wenn beide Blätter bemalt sind, durchtränken sie sich gegenseitig. Sobald wir das aber als faktisch akzeptieren, muss der Gewaltbegriff aus der Interpretation weichen. Er weicht dann eher einem Konzept der Liebe – und damit sind wir beim eigentlichen Beweggrund des Künstlers: seiner Liebe zum Leben mit all seinen Erscheinungen und Widersprüchen, vor denen viele gerne die Augen verschließen und damit ihre Wahrnehmung verhindern, die Wahrnehmung des elementar Gegebenen, der schlichten objektiven Wirklichkeit unserer Lebenswelt.

In den hier und heute gezeigten Arbeiten von D.L. drückt sich die physische Komponente also niemals explizit und auch implizite nie als Selbstzweck aus. Wir bekommen es hier vielmehr mit internen Aspekten von D.L.’ Art und Weise des künstlerischen Schaffens und Erschaffens zu tun. Mit "Gewalt" in physischem Sinne hat das jedoch alles nichts zu tun ...

Gehen wir in diesem Sinne über zur zweiten Ebene physischer Repräsentation in den Arbeiten, der Ebene der zeichnerischen und malerischen Techniken.

Auf dieser Ebene begegnen wir einer Art von Mischtechnik, die sowohl psychische Zustände wie physische Eruptionen repräsentiert. D. L. ist als sehr vehementer Zeichner bekannt. Das heißt, er zeichnet in seinen freien Arbeiten weniger filigran als vielmehr cum ira et studio. Zwar betont er, dass er dies nicht aus Stimmungen heraus tut, die ihn motivieren, aber dass er damit einen Ausblick auf emotionale Impulse bietet, kann niemand verleugnen. Diese wiederum evozieren jedoch ausschließlich seine Potentiale, die er dann thematisch umsetzt. Den Themen verdankt sich auch seine Mischtechnik, denn nur mit Kreide-, Kohle- oder Graphitstift allein lassen die sich nicht vermitteln. Hier tritt auch sein Spiel mit der Opazität gelegentlich zurück zugunsten einer Übermal- bzw. Überzeichnungstechnik. Ganze Bereiche einer Gemäldes oder einer Zeichnung können unter einer zweiten Schicht wieder verschwinden, dem normalen Betrachter wie den Besuchern dieser Ausstellung bleiben sie auf immer verborgen, als seien sie nie erschaffen worden. Hier stellen sich folglich gewollte Dominanzen in der Kunst dar. Allerdings ist auch dies nur eine Variante, denn manchmal trägt Davor die „dominierende“ Deckschicht lasierend auf, sodass doch wieder ein Durchscheineffekt erzielt wird.

Einen weiteren Aufschein von Physis (auf dritter Ebene) kann man in der oft hervortretenden Dreidimensionalität der Bilder erkennen. Solche Arbeiten wurden an dieser Stelle im Jahre 2000 gezeigt, ich konnte bei jenem Anlass bereits das Wesentliche dazu vortragen. Hier nur eine kurze Replik: Das Problem des Durchtränkens des Papiers und der Auratisierung der bemalten Flächen war dasselbe, das Graphitieren wurde mit einem breiten Pinsel vollzogen, der an den Rändern seiner Farbstreifen Farbwülste aufwarf, die stehen blieben und in den Raum verwiesen. In den vor zwei Jahren in Tettnang gezeigten „Gewalt-Bildern“ wurde eine ganz andere Methode zur Verräumlichung der Bilder angewandt: Die Farbe wurde auf sowohl rot bemalte Flächen als auch zeichnerische Elemente durch mit Graphitgemisch gefüllte Strumpfhosen und mit erheblichem körperlichem Kraftaufwand aufgeschlagen eher denn aufgetragen. Das Ergebnis waren aufragende Krater, magmatische Ergüsse, faust-, ja kopfgroße Farbblasen sowie Graphitspritzer in allen Richtungen, die auch nach der Trocknung ihre raumgreifende und raumschaffende Form behielten. Elemente davon, wenn auch weniger drastisch, können auch in den Bildern hier erkannt werden. Sie bezeugen, dass Davor Ljubicic seine künstlerischen Methoden und Mittel ständig entwickelt und dies nicht in revolutionären, hochspektakulären Sprüngen tut, sondern systematisch. Er lotet völlig methodisch sämtliche sich ihm bzw. seiner Phantasie bietenden Möglichkeiten der malerischen Materialverwendung aus. Darin vermengen sich zwar wieder physische und psychische Komponenten, Davor will aber ausdrücklich mit seinem Titel „G-B“ davon loskommen, stets nur auf die psychisch-mentalen Hinter- und Beweggründe künstlerischer Schaffensprozesse abzuzielen.

Begeben wir uns abschließend auf die vierte Ebene der Repräsentation von Physischem in den Bildern. Sie liegt in der Formatwahl. Sie bewegt sich zwischen Maßen von sagen wir DIN A4 und ca. 3x5 Metern. Dazwischen ist so ziemlich alles vertreten. Er selbst sagt dazu, dass sich grundsätzlich jedes Format für die Realisierung einer künstlerischen Idee eignen kann; für die Riesenformate, vor allem, wenn sie nur aus einem Blatt bestehen, gelte jedoch vor allem, dass es bei ihnen auf die Beherrschung dieser Formate ankomme. Das Wort Beherrschung ist hier der Schlüssel. Nur: geht es hier bei dieser Verwendung des Wortes Beherrschung auch um Gewalt? Nein, jedenfalls nicht um direkte physische. Auch geht es nicht darum, ob man seine künstlerischen Lektionen eventuell unter der Knute eines strengen Lehrers gelernt hat und es seinen Objekten jetzt heimzahlt. Hier geht es ausschließlich um das Konzept. Denn Davor Ljubicic zeichnet nie vor. Das bedeutet, dass er ein relativ konkretes Bild vor Augen hat lange bevor der Umsetzungsprozess dieser Bildidee beginnt. Und dieses Konzept auf einem großen Format ohne Hilfsmittel wie Skizze, Vorzeichnung oder Modell umzusetzen, erfordert gewaltige mentale Anstrengung. Wir benutzen diese sprachliche Metapher nun einmal so. Und gewaltige Anstrengungen sind nicht nur physisch möglich; es kann ebenso gut gewaltiger Anstrengung bedürfen, ein Buch zu schreiben, einen tiefen Gedanken oder eine Theorie widerspruchsfrei zu formulieren oder eine künstlerische Idee zu realisieren.

Die dazu benötigte nicht-physische Gewalt umschreibt sprachlich jedoch nur die Selbstdisziplinierung, der man sich „unterwerfen“ muss, und die Konzentration, die Arbeit des Begriffs und der Idee, die man konsequent zu leisten und zu berücksichtigen hat – und ihre Aufwendung sollte nichts Autoaggressives beinhalten. Aber vielleicht Aggression gegen Andere? Wer weiß, vielleicht schon. Etwa in dem Sinne, dass zum Beispiel Davors Bilder gewaltig beeindrucken können. In dem Fall üben sie einen gewissen Druck auf den Betrachter aus, der seine Eindrücke gerne in den Griff bekommen möchte und so zum Nachdenken gezwungen wird. Viele Menschen, so habe ich erfahren können, entziehen sich dieser Arbeit lieber und bleiben der gewaltigen Wirkung schutzlos ausgeliefert, die von diesen Bildern ausgehen. Die meisten dieser Menschen sprechen angesichts Davors Kunst von Ängsten, die sie entwickeln, oder Depressionen, die sie bekommen und dann dem Künstler als Triebkraft unterstellen. Das hatte ich eingangs bereits erwähnt.

Solcherlei Ausflüchte sind jedoch nichts anderes als Versuche, von dem eigenen Unwillen zum Mitdenken und Nachvollziehen abzulenken, von den eigenen Problemen, die genau dazu geführt haben und der mangelnden Bereitschaft, daran etwas zu ändern. Zumindest in Bezug auf die große Kunst Davor Ljubicic’.  Aber es würde sich bereits etwas ändern, wenn man nur einmal mit dem Künstler kommunizierte. Wenn man ein Bild nicht versteht, versteht man vielleicht doch den Künstler. Nutzen Sie die Gelegenheit, sprechen sie mit ihm, er ist nicht nur physisch heute Abend anwesend. Und glauben Sie mir: Selbst die Unterstellung, Davor würde bevorzugt schwarz malen, stimmt nicht. Sowohl Freunde wie Kritiker haben daran schon ihre Ängste aufgehangen, dass Schwarz deprimierend wirkte. Aber Graphit ist nicht schwarz! Man achte besser auf das Rot – diese Farbe der Leidenschaft, der Erotik, des tiefen Engagements, der Liebe. Darin sieht man den eigentlichen Davor. Und um es kabarettistisch zu wenden und zu enden: Und wer davor Angst hat, sollte nicht Dr. Regelmann zuhören, sondern zum Arzt gehen.

Dr. Johann-Peter Regelmann

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