Davor Ljubičić  

Die Galerie „Der schwarze Punkt“

Zum Konzept des Künstlers Davor Ljubicic



Die „Galerie der Schwarze Punkt“ ist keine Galerie im herkömmlichen Sinne. Es gibt keine festen Räume, wo etwa ständig retrospektiv bzw. aktuell oder aber temporär themenspezifisch Werke eines oder mehrerer KünstlerInnen ausgestellt sind. Für ganz oberflächliche Betrachter könnte es sogar so erscheinen, als dass diese „Galerie“ überhaupt nur aus einem kleinen quadratischen Stück weißen Papiers mit einem im Verhältnis zum Blatt relativ großen schwarzen Punkt besteht, in dem – wiederum in weißer Schrift, sozusagen ‚Weiß auf Schwarz‘ – „Galerie der Schwarze Punkt“ steht. Ist die Bezeichnung also falsch gewählt? Haben wir es mit einer gezielten Verunsicherung zu tun, einer Verdrehung der Tatsachen, eventuell mit dem offensichtlich nur Politikern erlaubten, in den USA jedoch sogar strafrechtlichen Tatbestand einer Irreführung der Öffentlichkeit? Ich kann versichern, dass dem nicht so ist. Wobei ich einschränken muss: Verunsicherung, ja, die spielt bei Davor mit Sicherheit eine Rolle, vielleicht sogar eine wichtige. Doch davon später.

Ganz ernsthaft: Die „Galerie der Schwarze Punkt“ ist der Name einer komplexen und umfassenden künstlerischen Aktion, ja, im Grunde ist diese Galerie sogar selbst eine Performance. Sie gehört in das differenzierte und doch einheitliche Kunstkonzept von Davor Ljubicic. Man könnte sogar sagen, dass es dessen tragendes Moment ist. Ich zumindest will dies behaupten und belegen. Denn überall dort, wo Davor Ljubicic präsent ist: ob persönlich, mit Objekten, Bildern, Rauminstallationen oder Projektionen, dort ist auch die „Galerie der Schwarze Punkt“ aktiv. Wie soll man sich das aber nun vorstellen?

Einerseits muss man wissen: Das künstlerische Werk von Davor Ljubicic ist sehr vielschichtig. Seit mehr als 20 Jahren entwickelt es sich durch eine Vielzahl von Werken und Entwürfen, durch realisierte und nichtrealisierte Konzepte und durch einen scheinbar unversiegbaren Ideenquell. Und es repräsentiert und kommentiert – zum Teil durch dezidierten Widerspruch – alle wichtigen Tendenzen und Facetten der zeitgenössischen Kunst. Jedoch, und das ist für Davor Ljubicic meiner Meinung nach besonders bedeutsam: der wichtigste Bestandteil dieser Kunst ist immer der Mensch mit seiner körperlichen Ausprägung, Formung und Gestaltung, aber auch seiner geistigen und reflexiven Dimensionen. Und der wird am besten vorgestellt durch den Künstler Davor Ljubicic selbst.

Andererseits: In, wie ich denke, sehr vielen seiner Werke geht es Davor um Formen, genauer gesagt: um organische Formen. Irgendwie drücken sie sich immer wieder und oft auf eine kaum wahrnehmbare Art und Weise aus. Manchmal sind sie allerdings auch, und dann in aller jener „Natürlichkeit“, die ein Kunstwerk überhaupt transportieren kann, unverblümte Darstellungen menschlicher Körperlichkeit und Sinnlichkeit. Das gilt für eine, wie Davor selbst sagte, „schnell aufs Papier geworfene“ Aktzeichnung, für ein Selbstportrait als Halbakt vor dem Spiegel und für seine Videoinstallation „Revoluzia“ gleichermaßen. Mögen die künstlerischen Abstraktionsschritte, die zur jeweiligen Realisierung bzw. Ausführung dieser so unterschiedlichen Werke geführt haben, auch noch so verschieden zu gewichten und komplex nachzuvollziehen sein, sie machen doch alle gleich intensiv deutlich, wie menschliche Sinnlichkeit und Körperlichkeit künstlerischen Ausdruck finden können. Nämlich durch die einzig unmittelbar wahrnehmbare natürliche Formvorgabe, also das bedingungslos der künstlerischen Aktion dienende Maß aller Dinge, real wie ideell. Damit sind wir aber wieder beim Menschen und seiner Natürlichkeit, bei seiner Einbettung in die Geschichte der Natur und ihrer Formen.

Der Name „Galerie der Schwarze Punkt“ ist ein deutlicher Hinweis auf diese wie andere der Themen von Davor Ljubicic. Sie alle stehen nämlich untereinander in Zusammenhang. Also auch die großen, mit einem Graphit-Honig-Gemisch geschaffenen Werke mit der ‚Revoluzia‘. Die Vergänglichkeit und der Ursprung der Welt sind ja im Grunde auch nur ein und dasselbe Thema, der buchstäblich verschleuderte Honig und die literarisch, poetisch und symbolisch so be- und umschriebene ‚süßeste Frucht‘ sind doch bloß verschiedene Symbolisierungen der Libido, der unabdingbaren Grundlage jedes schöpferischen Prozesses. Der schwarze Punkt steht also weder für das Nichts oder das Chaos, noch auch nur für die Auflösung oder gar Vernichtung aller Farben, wie man ja auch annehmen könnte. Er ist vielmehr ein Wegweiser zu dem und ein Hinweis auf den zentralen Impetus eines ganzen Werks.

Ein inhaltlicher Aspekt der Arbeit von Davor wird dadurch aber auch ganz direkt angesprochen.

Die oben bereits erwähnte Erscheinungsweise der „Galerie der Schwarze Punkt“, der schwarze Kreispunkt auf weißem Quadrat, erinnert einerseits an suprematistische Malerei, aber auch an idealisierende Formgebung. Kreis und Rechteck bzw. Quadrat gehören (mit dem Dreieck) seit den Anfängen der Geometrie zu den ideativen, d.h. durch Abstraktion aus bäuerlich-handwerklichen Produktionszusammenhängen gewonnenen und abgeleiteten grundlegenden Formen des geometrischen Formenthesaurus. In der Geschichte der Kunst kann man verfolgen, wie in allen Phasen revolutionärer Entwicklung eine Rückkehr zu oder eine Rückbesinnung auf diese sogenannten „elementaren“ Formen erkennbar ist. In der Kunst des 20. Jahrhunderts sind im Bereich der Formen z.B. der Kubismus und der Suprematismus Ausgangspunkt aller abstrakten Richtungen in der formalen Gestaltung von Kunstwerken. Die wichtigsten Etappen hierfür waren der Expressionismus und der Konstruktivismus als Gegenpole formaler Entwicklung. Aber auch auf deren wie viele andere Farbstile hatte dieser Formalismus natürlich Einfluss, den wir hier jedoch aus Platzgründen ausklammern müssen.

Davor Lubicic jedenfalls spielt mit diesem Formalismus. Er setzt ihn einem Wechselbad von ideativen und organischen Elementen der Formgestaltung aus und erzeugt damit eine oft gespenstisch wirkende Spannung in seinen Bildern. Im Vergleich mit derartigen seiner Werke kommt dann aber auch das oben bereits angesprochene einheitsstiftende Moment des Zusammenspiels von Schöpfung und Vergänglichkeit wieder ins Spiel und demonstriert seine Bedeutung und Symbolkraft für Davors Werk und die Möglichkeiten seiner Interpretation.

Der zweite wichtige inhaltliche Aspekt von Davor Ljubicic‘ Kunst ist das eingangs bereits angesprochene Moment beziehungsweise Element der Verunsicherung. Kein ästhetischer Ansatz zur Umerziehung oder Neueinstellung von Wahrnehmungsgewohnheiten hat im 20. Jahrhundert wirklich gefruchtet, weder kurzfristig noch auf lange Sicht. Die meisten fielen nach Kurzem unter das Verdikt der „Mode“ oder eines Stils. Denn: Der durchschnittliche, oder besser: laienhaft an Kunst interessierte, Betrachter schaut immer nur zweidimensional auf die Oberfäche, er steht vis-á-vis zum Bild, und was er auf den ersten und zweiten Blick nicht sieht, wird er nie aus eigener Kraft erkennen. Ganz dem Bonmot eines alten Kunsthistorikers und Reiseführers zu historischen Altertümern entsprechend: „Wir sehen nur, was wir kennen!“ Ein Weg jedoch, ihn – den Betrachter – zu einer anderen, aus seiner Sicht ge- bzw. erzwungenen Ansicht eines Bildes zu bringen, ist der, ihn einfach anders und zugleich zwingend an dieses Bild heranzuführen. Davor Ljubicic hat dafür einen Weg entdeckt und sozusagen experimentell erforscht.

In einer Installation hat er (1993 in der Studio-Galerie des Kunstvereins Konstanz) den gesamten Raum enzig dazu genutzt, die Besucher auf einen an der Wand der Stirnseite angebrachten schwarzen Punkt zuzuführen. Auf der Fläche des nicht allzu großen schwarzen Punktes waren weiße Linien ausgelassen, so feine Linien, dass man sie erst wahrnehmen konnte, wen man bereits nahe an den Punkt herangekommen war. Das war aber nicht so ohne weiteres möglich. Denn Davor zwang die Besucher dazu, sich auf scheinbar verschlungenen Pfaden immer eng an den Wänden des Raumes entlang der Stirnwand anzunähern. Dem aufmerksamen Besucher wurde nach Erreichen des Ziels klar, dass er einen Weg gegangen war, der durch die weißen Linien auf dem schwarzen Punkt vorgegeben war und dem Grundriss des Raumes entsprachen. Die Einhaltung des so vorgezeichneten Weges war also essentiell. Wie aber bringt man Menschen dazu, einen solchen Weg wirklich einzuhalten?

Nun, man kann den Weg auf dem Fußboden aufzeichnen, man kann Leuchtröhren als Leitfeuer an der Decke montieren, man kann jeden Besucher einzeln an die Hand nehmen und führen. Davor entschied sich für eine Mischform: Er legte schmale eiserne Gitter als Wegtrasse auf den Boden, die seitlich durch Reihen senkrechter, durch Drähte verbundener langer Eisenstäbe eng begleitet wurden und den Weg wirklich zu einem abenteuerlichen Pfad machten: Stäbe und Drähte waren nämlich an eine Batterie angeschlossen, welche sie mit 12000 Volt Spannung auflud, die sich bei Berührung blitzartig, aber, wie etwa die statische Aufladung eines Autos, ungefährdend entluden und sich dann immer wieder aufbauten. Er hatte also einen in der Wirkung spürbaren, aber doch ungefährlichen Elektrozaun nach Art eines Weidezaun installiert.

Die Wirkung war vielfältig: Einige Besucher waren erbost, nachdem sie trotz der überall unübersehbaren Warnschilder doch den Zaun angefasst hatten. Nahezu alle fanden die Idee mit dem Zaun ebenso – in zweifachen Sinne des Wortes – spannend wie amüsant. Und einige waren erstaunt, als sie schließlich (wieder)erkannten, welchen Weg sie gegangen waren. Kaum jemand kam jedoch ohne Erläuterung auf die Idee, alle drei Effekte als Konzept zu erkennen. Trotzdem hatten die meisten Besucher schließlich das gesehen, was Davor ihnen zeigen wollte. DAS war für Davor wichtig. Um dieser Menschen und ihrer geschärften Wahrnehmung willen hat sich der an Performance- und action art-Konzepte erinnernde Aufwand der Installationskonzeption für ihn gelohnt. Auch um den Preis, die meisten seiner Besucher doch etwas verunsichert und einige sogar gegen sich aufgebracht zu haben.

Man muss es vielleicht doch auch sehr buchstäblich nehmen mit dem Namen „Galerie der Schwarze Punkt“. Ihre Aktionen und Produktionen bringen Probleme der zeitgenössischen Kunst auf den Punkt, in der es nichts Beiläufiges gibt, aber viel Gutes und weniger Gutes. Der Standard muss zunächst natürlich das Gute sein. Aber beim Guten darf nicht stehen geblieben werden, es kann in der Entwicklung der Kunst immer nur um das Bessere gehen. Wenn man jedoch nicht der Ideologie einer ‚l‘art pour l‘art‘ sich verschreiben will, braucht man dafür ein Publikum mit entwickelten und trainierten Wahrnehmungsfähigkeiten. Die Kunst Davor Ljubicic‘ und ihr ebenso tragendes wie vermittelndes Konzept, die „Galerie der Schwarze Punkt“, stehen für beides: Bessere Kunst und ein darauf vorbereitetes, aufnahmebereites Publikum.

Davor Ljubicic‘ Kunst ist eine vielschichtig reflektierte Kunst.

Kunst ist für Davor Ljubicic eine subjektive und objektive Lebensform.

Dr. Johann-Peter Regelmann
 

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