Davor Ljubičić  

Videotext zu Davor Ljubicic "Revoluzia" – 5-Minuten-Version


Die Galerie der schwarze Punkt von Davor Ljubicic zeigt „Revoluzia“

Die „Galerie der Schwarze Punkt“ ist keine Galerie im herkömmlichen Sinne. Es gibt keine festen Räume, in denen Werke eines oder mehrerer Künstler ausgestellt sind. Die „Galerie der Schwarze Punkt“ ist vielmehr der Name einer komplexen und umfassenden künstlerischen Aktion, ja, im Grunde ist diese Galerie sogar nur eine einzige große Performance. Sie gehört in das differenzierte und doch einheitliche Kunstkonzept von Davor Ljubicic. Denn überall dort, wo der Künstler Davor Ljubicic präsent ist: ob persönlich, mit Objekten, Bildern, Installationen oder Projektionen, dort ist auch die „Galerie der Schwarze Punkt“ aktiv.

Die Vorlage – Gustave Courbets Bild „Der Urprung der Welt“

Die Wahl der Vorlage für seine „Revoluzia“ traf Davor Ljubicic nicht von ungefähr. Das Bild „L‘origin du monde“, von Gustave Courbet 1866 als Auftragsarbeit gemalt, stand seit seiner Entstehung bereits im Rufe des Skandalösen. Alle seine Besitzer über nahezu 130 Jahre hielten es verborgen, es war ihr intimster Privatbesitz. Einige ließen sogar Kaschierbilder anfertigen, mit denen sie das Original verdeckten. Unter anderem der letzte private Eigentümer, der französische Philosoph und Psychoanalytiker Jacques Lacan.

Davor Ljubicic‘s Arbeit „Revoluzia“ entstand ebenfalls als Auftragsarbeit, und zwar für die Ausstellung „Revolution und Freiheiten des 21. Jahrhunderts“ im Bürgersaal in Konstanz im Rahmen der Gedenkfeierlichkeiten zum Thema „150 Jahre Revolution in Baden“. Sie stellt die Szene des Courbet-Bildes mit einem lebenden Modell nach und zeigt es auf einer Endlosschleife eines 8-Millimeter-Films, die in einem dunklen Kabinett auf eine Leinwand projiziert wird.

Die Rücknahme der Öffentlichkeit ins Private, Voyeuristische

Erst seit 1995 ist Courbet‘s Bild nach 130 Jahren „Geheimhaltung“ durch Privatbesitz öffentlich zugänglich. Es hängt in einem vollständig Courbet gewidmeten Saal des Musée d‘Orsay in Paris zwischen einem von Courbet‘s gewaltigen „Hirschbrünften“ und einer nackten Dame, die mit ihrem Hündchen spielt. Die Brunft ist aber gar nicht das Thema. Thema ist vielmehr, dass viele Betrachter sich vor dem Bild wie suchend umschauen, so als wollten sie sich vergewissern, dass das, was sie da sehen, auch wirklich da hängt – so überraschend kommt dieses kleine Lust-Stück zu Bewusstsein.

Die Betrachter zweifeln jedoch nicht so sehr an ihrer Wahrnehmung als vielmehr an dieser ungeheuren Intimität, die da so öffentlich zur Schau steht. Kann das sein? fragt man sich, denn für den überwiegenden Teil der Betrachter wird wohl gelten dürfen, dass das, worüber so gerne geredet wird und was das Bild wohl auch verheißt, in der Tat dann doch etwas total Zurückgezogenes und Verborgenes, eben etwas sehr Privates ist.

Nachdem nun das Bild so lange unter Privatisierung, oder besser: Privation gelitten hat, leidet es nun an einer gewissen Über-Öffentlichkeit. Es fungiert scheinbar als gesellschaftlicher Spiegel menschlicher Sinnlichkeit und Körperlichkeit, wo diese eine ganz konkret sexuelle Orientierung zeigen. Durch die Reaktionen der Betrachter – im Musée d'Orsay ebenso wie im Bürgersaal in Konstanz – wird ja deutlich, dass Blicke zwar gierig sein können, die bloße und öffentliche Wahrnehmung aber diese Gier nicht aushält. Die berühmt-berüchtigte „sexuelle Revolution“, die ja in Europa spätestens durch die 1968er–Bewegung losgetreten worden sein soll, hat es in dieser Hinsicht wohl nie gegeben.

Davor Ljubicic revoltiert nun mit Hilfe des Bildes zurück, ohne – um es einmal so auszudrücken – „konterrevolutionär“ zu sein. Er nimmt das Bild durch die Art der Installation einerseits heraus aus der totalen Öffentlichkeit, versenkt es aber andererseits nicht wieder in das Grab der Privation. Er lässt mit seiner Installation jedoch den Betrachter unter gewissen Anstrengungen mit sich und dem Bild allein. Das ist die Situation des Voyeurs – eine undankbare, dem Selbstwertgefühl der meisten Menschen eher abträgliche Zwangslage. Er zwingt dadurch wenigstens potentiell die Betrachter dazu, sich mit ihrer Wahrnehmung insgesamt und dieser von ihnen teilweise selbst herbeigeführten Wahrnehmungssituation und ihrem Inhalt konkret auseinanderzusetzen.

Die Galerie der Schwarze Punkt will eine Schule des Sehens sein. Sehen nicht als einfaches und passives geschehen lassen vor dem optischen Apparat, sondern als aktives, forschendes, interessiertes Hinsehen unter dem erkenntnisleitenden Aspekt des Wissenwollens. Solches Sehen ist ein libidinöses Tun – bewusstes Sehen ist eine Handlung, die den Betrachter zum aktiven Partner des Künstlers erheben kann.

Dr. Johann-Peter Regelmann, 2000

links    hoch    rechts