Davor Ljubičić  

Leonardo, Joseph, Ljubicic. Durch wessen Adern fließt Blut, durch wessen Wasser?

 

Die unrealisierte Installation unter dem Titel Joseph, ich lasse Wasser durch deine Adern fließen Leonardo errichtet, zumindest auf verbaler Ebene, ein Verhältnis zwischen Joseph Beuys und Leonardo da Vinci. Eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der italienischen Renaissance will in einer fiktiven Replik das Blut in den Adern des großen zeitgenössischen deutschen Künstlers durch Wasser ersetzen. Der Kritiker erhebt Anspruch auf sein Recht zu schweigen bezogen auf die unrealisierten Pläne, wobei er diese bei seinem Insiderwissen in Klammern setzt und nur Informationen über jenen Teil der Installation weitergibt, der tatsächlich auch bis zu uns durchgedrungen ist: ihr Titel wurde als Motto an den Anfang des Katalogs Ad usum internum gestellt. Blut und Wasser sind in der antiken Lehre verbunden mit den Elementen und diese wiederum mit den Temperamenten, die von ihnen abgeleitet werden. Was tatsächlich passieren würde, wenn Leonardo das Blut in Beuys´ Adern durch Wasser ersetzte, bleibt (vorläufig?) das Geheimnis von Ljubicic. Öffentlich sind nur die realisierten Installationen,  das Vorhandensein von Elementen und Temperamenten in ihnen und die Tatsache, dass sie in den Kontext der sich veränderten Lebensumstände des 21. Jahrhunderts gestellt werden. Von daher auch mein Aufruf zur Kontemplation des Präsenten. Die komplexe Lehre von Pythagoras über die Harmonien in der Natur, eingerahmt durch die Zahl 4, führt durch eigenartige analoge Verbindungen und auf den ersten Blick unmotivierte Treffen von gegensätzlichen Entitäten zum Aufbau von Verbindungen, die sich zum gleichen Teil als vorhanden wie auch als fehlend definieren lassen. Ihre weitere Ausführung und Präzisierung in der Theorie von Galen über die vier Körpersäfte und ihrer Verbundenheit mit den anderen Ebenen der Lebenswelt (die Erklärung des Kosmos und die Dominanz des Chaos durch die Hilfe der schönen Harmonie der Zahlen), hat die Naturwissenschaften dominiert, besonders die Medizin, bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Die Vermischung verschiedener stratifizierter Ebenen, kraftvolle Sprünge von einer Erfahrungsebene auf die andere und ein verschiedenartiges Erleben und Voraugenführen der Welt, sind innerhalb der Naturwissenschaften sicherlich obsolet geworden. Gerade deshalb ist es von noch größerer Bedeutung die Stufe, auf der sich diese, manchmal so einflussreiche Art des Definierens unserer Beziehung zu unserer Umwelt und wir uns mit uns selbst in eine Sphäre übersiedelt haben, die wir, wohlwollend, als kulturelle beschreiben könnten. Das Entdecken der Spuren, dass jene in ihr hinterlässt ist fast unerschöpflich, deshalb aber nicht weniger anspruchsvoll und am Ende befriedigende Arbeit. Man kann sich ihrer bewusst bedienen, sie können sich jedoch auch heimlich und leise durchkämpfen auf das Feld, das nicht für sie bestimmt war. Natürlich ermöglicht die einseitige und einfache Symbolik ihre leichtere Inkorporation, wobei sie gleichzeitig  hinsichtlich ihrere Interpretation, als Träger von tieferen und reicheren Bedeutungseinheiten, die Aufdeckung unterdrückter Kontexte verhindert. In vollem Sinne kann sich die Lehre über die Elemente von Pythagoras erst auf jenen Plätzen entwickeln, in denen es zu einem komplexen Zusammenspiel von ihnen kommt, wobei sich die einen in den anderen ausdrücken, einander durchfluten und polemisieren, in einer dialogischen  Bestrebung  hin zu einer fiktiven künstlerischen Einheit. Die wissenschaftliche Dimension ist so vor der symbolischen zurückgeschreckt und Wasser, Feuer, Erde und Luft haben den Platz eingenommen in der präparierten Wirklichkeit einer neuen, anderen Praxis, die sie außerhalb des Horizonts der alltäglichen menschlichen Erfahrung, die durch den direkten Kontakt von Natur und ihren, jetzt hie und da unterschiedenen Bestandteile, erreicht wird. Natürlich befindet sich der Knotenpunkt eines adekvaten Interpretationsvorhabens immer an der Grenze, an der sich die Trennung zwischen dem normalen Erkennen des Vorhandenseins von etwas innerhalb eines Textes/Artefaktes und das Stellen desjenigen in breitere referenzielle Rahmen befindet, mit dem der banale Aufbau hinein in den gegebenen Raum des bereits Vorhandenen zerstört wird. Um zum Sinn der pythagoräischen Elemente in der postmodernen Welt zu kommen, ist es notwendig sie von ihrer Ursprünglichkeit zu isolieren und sich zu erkundigen über die Zweckmäßigkeit der Erscheinungen von jenem, das als solches, nur innerhalb ausgewechselter und von neuem erdachter Schleifen. Eine auf diese Art aufgefasste, antike Lehre über die Elemente erreicht andere Eigenschaften. Sie siedelt sich an auf dem Gebiet des Unterbewussten, innerhalb dessen ihre Anwendung aus einem völlig neuen Blickwinkel betrachtet wird: sie wird sogar an der Stelle legitimiert, an jener derjenige, der sich ihr bedient nicht unbedingt dazu verpflichtet ist seine Erkenntnisse auf die unmittelbar positiv erläuterte Ebene beziehen zu müssen, man richtet sie eher aus auf die Bereiche, die relevant sind für ihr/sein Verhältnis zur Wirklichkeit und deren Manifestationen. Solch ein besonderes künstlerisches Wechselspiel mit der Lehre über die Elemente und deren weitreichenden Implikationen, kann man im Zyklus des Künstlers Davor Ljubicic finden. Dabei werde ich besondere Aufmerksamkeit auf drei Projekte aus den Jahren 2001, 2002 und 2003 lenken. Das erste mit dem Titel Der kalte Wind ist kein Trost für deine blutige Nase, die Installation ist ausgestellt in der Auslage eines Kleidergeschäftes in Friedrichshafen (und in einer anderen Reihenfolge, bedingt durch die neuen räumlichen Konfigurationen, sie wurde wiederholt in der Galerie Bagnato in Oberdorf bei Konstanz), das zweite, Deine Augen sehen die Welt anders, wurde realisiert im Kellergewölbe des Kulturzentrums in Konstanz und das dritte, 5 Schränke – 5 Köpfe – 5 Stimmen, ist ein Projekt aus der Galerie Schleuse 16 in Böblingen. Für diese letzte Installation ist charakteristisch, dass ein Teil von ihr, in einem anderen Kontext und in anderen Ausführungskoordinaten, noch einmal im Renaissancehof des Kulturzentrums in Konstanz gezeigt wurde, wobei auf diese Verdoppelung und Zweiteilung komme ich später noch ausführlicher zu sprechen. Das, was diese Installationen wirklich zu einem Zyklus macht, sind die gemeinsamen Elemente, die in ihnen auftauchen und das auf der Ebene der Versinnbildlichung einerseits und auf der symbolischen Ebene andererseits, auf der sie sich vermischen, treten sie in neue, unvorhergesehene referenzielle Beziehungen. Bevor ich auf jene zweite, kompliziertere Ebene übergehe, werde ich noch bei der ersten verweilen, die ich, damit verknüpft, als thematische bezeichnen würde. Also, was will uns Davor Ljubicic mit diesen extrem narrativ verflochtenen, teilweise sogar literarischen Konstruktionen erzählen? In der Gesamtheit haben die drei Installationen als auffälligsten gemeinsamen Berührungspunkt Zeichnungen von fast gespenstischen Menschenköpfen. Diese Köpfe sind Bleistiftzeichnungen, mit einer Präzision, hinter der man eine Leidenschaft für ein realistisches Modell der Vergegenwärtigung der Wirklichkeit vermuten kann. Der vorgetäuschte Realismus wird bereits im ersten Moment des Aufeinandertreffens des Betrachters mit ihnen verunstaltet, wird wie eine mimetische Täuschung, nämlich genau in dem Moment, in dem man die Leere ihrer Augen ohne Blick erkennen kann, das Hervortreten des Bartes, das begleitet wird von der Ansiedlung der seltsam deformierten Lippen, die Abrundung des Schädels, der so kahl ist, dass man sich die Frage nach was für einem Haar auch immer, das ihn vielleicht zumindest teilweise bedecken könnte, überhaupt nicht stellen kann: die Köpfe sind auf so eine Art und Weise kahl, dass man sich ihren vorherigen Zustand einer Bedecktheit unter keinen Umständen auch nur vorstellen kann. Auf eine ähnliche Weise sind auch Nase und Ohren stilisiert – zurückgeführt auf präzise Linien, die, sozusagen, gleichzeitig das sind und nicht sind, was sie eigentlich versinnbildlichen sollten. Sie sind es, weil sie die formalen Richtlinien besitzen (strenge Linien, die angedeutete Höhlung der Nasenlöcher, Härchen in den Ohren und das teuflisch geschärfte Hörvermögen der Ohrmuschel), die ihre Existenz in der Welt legitimieren; sie sind es nicht, weil ihre Funktionalität durch die karikaturmäßigen Konturen, die ihnen von der Hand des Zeichners verliehen sind, in Frage gestellt wird. Das Spiel von Nähe und Ferne, das das Auge des Betrachters irreführt und verführt, wird aufgedeckt in der Funktion des betrügerischen Konstruierens der bekannten Welt, hinter der sich eine andere, gleichzeitig groteske und humoristische, verbirgt. Die Köpfe im Raum nehmen, im Vergleich zu den übrigen Objekten, die die Installation schaffen, eine besonders schräge Lage ein. Mit ihnen will man auch die Betrachtungsperspektive des Autors signalisieren und die Voraugenführung der Welt – der Bickwinkel aus dem Abseits verbirgt hinter sich etwas Schelmenhaftes, Vorwerfendes, Provokatives, Alltägliches; etwas, das mit seiner Umgebung in einen offenen, kompromisslosen Dialog treten will, in dem der Gewinner nur der Listigere und Wendigere sein kann. So bewegen sich die paradoxalen Augen ohne Blick, die Köpfe mit leeren Augen perspektivistisch in eine Situation, in der sie mit den anderen Objekten, aus denen sich die Installation zusammensetzt, kommunizieren. Und diese Objekte sind dem Alltag zugehörig, in ihrem allersaubersten, banalen Verwendungszweck: ein Ventilator, Schränke, ein Boot. Den Unterschied beginnt der Betrachter erst in dem Moment zu bemerken, in dem er dazu gezwungen wird zu sehen, dass sie sich von ihren sachlichen Elementen abheben, mit denen sie absolut nichts mehr verbindet: der Ventilator produziert keinen erfrischenden Luftstrom, der den Raum abkühlen wird, das Boot transportiert weder Leute noch Waren übers Wasser, die Schränke dienen nicht dazu Kleider aufzubewahren. Die Objekte sind jeglicher Funktionalität beraubt und bereit dazu, von sich aus, einen offenen Dialog mit den prüfenden Köpfen zu beginnen. Sie sind zusätzlich vom Alltag weggerückt durch die offene Intervention des Autors in ihrer Textur. Das Boot ist überzogen mit einer Mischung aus Honig und Graphit, die Schränke sind mit Graphit schwarz bemalt, der Ventilator ist mit einem feinen, kaum sichtbaren Zwirn an der Zimmerdecke festgemacht. So werden sie nicht allein durch Übersetzen in den Zustand der Unfunktionalität enfremdet; und ihr Aussehen erreicht eine andere Dimension, die sie auf eine neue und bedeutende Weise in die Nähe des Anblicks, die die unreal realistischen Köpfe auf sie werfen, übersiedelt. Die Installationen halten nicht erst bei diesen Elementen der Visualisierung des Raumes inne. In ihnen taucht auch der Moment der Akustik auf. Das Geräusch des Ventilators, der an der Decke hängt und die Bewegung seines Rotors,  wirbeln die Luft durch ihre eigenwilligen Bewegungen rund um die fiktive, ellipsenartige Achse auf. Der Super 8 Projektor durchbricht durch sein Surren die meditative Stille, die die Angespanntheit zwischen den Köpfen und dem Boot schafft, während man auf der Video-Projektion in einem extra Zimmer in gleichem Maße einen Prozess hört und sieht, bei dem die Künstlerhände Graphit und Honig kneten, um eine schwarze Masse mit einem goldenen Überguss  zu schaffen, was dem Überziehen des Bootes dienen wird. Aus dem Schrank gelangen modifizierte, karikierte, entstellte Stimmen heraus und auf der Projektionsleinwand, die in einen eigenen Bogen im Keller gepflanzt wurde, wird ein Videofilm gezeigt, in dem der Künstler selbst präsentiert wird und ein Ausschnitt aus dem klassischen Werk des deutschen Expressionismus, aus dem Film von Fritz Lang M – eine Stadt sucht ihren Mörder – in dem die Stimme von Peter Lorre vorherrscht. Über den Körper des Künstlers fließt Wasser und der Ton, den man durch dessen Plätschern und Rauschen hört ist das ausschütteln des Kopfes und des völlig durchnässten Hemdes, das den Raum eines anonymen Bades ausfüllt. Alle drei Installationen also vermischen in einem komplizierten Spiel unterschiedliche Komponenten des medialen Ausdrucks. Jede von ihnen behält ihre Eigenheit, erlaubt nicht den Verlust der Autonomie, das Verzehren der Ausdrucks, der nur für sie allein charakteristisch ist. Allein auf diese Art ist die dialogische Interaktion möglich, in so einem Ausmaß in ihnen dominiert. Was haben diese auf den ersten Blick so disparate Elemente einander zu sagen? Worüber können sie korrespondieren, wie ihre Erkenntnisse erweitern oder verkleinern? Die Antwort auf diese Frage erfordert eine kurze Betrachtung jeder Installation für sich und danach, wenn sich meine These über ihre tiefe thematische und formale Verbundenheit als richtig herausstellt, und das Aufdecken von spezifischen Kontexten in denen ihre Zwischenbeziehungen und ihr Mitwirken ans Tageslicht kommen. In der räumlichen Konfiguration der Installation Der kalte Wind ist kein Trost für deine blutige Nase ist zweifelsohne der geometrische Mittelpunkt der schon erwähnte Ventilator.  An der Zimmerdecke aufgehängt, baumelt er an einem dünnen Faden, der jegliche Art von Fixierung unterbindet und auf diese Weise seine Freiheit und Defunktionalisierung beschreibt. Gleichzeitig ist diese Freiheit ausdrücklich eindeutig: die berauschten und eigenwilligen Bewegungen des Ventilators wirbeln die Luft in dem für ihn erreichbaren Radius auf und ermöglichen dem beweglichen Element die Störung der Ruhe der augenlosen und starr glotzenden Köpfe. Diese Zeichnungen sind im Raum fixiert, weil sie an Pressspanplatten befestigt sind, sie besitzen jedoch eine relative Bewegungsfreiheit. Die Luftströmung nämlich, die auf sie zukommt, hat allerdings nicht die Kraft dazu sie direkt in Bewegung zu setzen, beim Betrachter wird aber das subjektive Gefühl ausgelöst, auditiv und visuell herbeigeführt durch das Wirken des Ventilators, die Möglichkeit sie zu bewegen suggeriert. So wiegen sich die grotesken Köpfe leicht in der kontingentalen Richtung, die ihnen durch die Quelle der Strömung verleiht wird, wiederum determiniert durch einen dünnen, aber kräftigen Zwirn, der es kaum schafft sein Gewicht auszuhalten, aber fähig dazu ist die wilden Bewegungen zügelt, die durch die aufgedrängten Enge bewirkt werden. Die groteske Komik der Installation wird sichtbar, wenn man an die Miniaturgröße des Ventilators denkt, der unzureichend ist um was für ein Zimmerchen auch immer abzukühlen und der Effekt, den er trotz seiner Miniaturgröße, den er auf die unproportionellen Köpfe hat, die vor seinem tobenden Eigenwillen völlig machtlos erscheinen. Die Groteske ist zusätzlich dadurch verständlich, wenn wir uns an die gruselige Form der Köpfe erinnern und die Entleerung des Blickes, die tatsächlich dazu fähig sind eine Unheimlichkeit zu produzieren. Diese Unheimlichkeit ist absolut real, was auch die Reaktionen der völlig zufällig daran Vorübergehenden bezeugt, deren Bemerkungen und zeitweise auch lautstarken Proteste, am Ende die Besitzerinnen der Kleiderläden dazu gezwungen haben, dass sie die Installation eine ganze Woche vor dem offiziellen Ende der Ausstellung aus der Auslage zu nehmen. Gleichzeitig kann man die Beziehung nicht nur aus einer einseitigen Perspektive deuten. Nämlich, nicht einmal die Köpfe selbst sind ausschließlich neutral oder passiv, dem Ventilator und der Strömung, die er produziert, gegenüber. Auf ihn ist von ihrer Seite aus ein stummer und blinder Blick der ausgehöhlten Augen gerichtet – so als würden sie sich fragen wozu all diese Anstrengung, wozu der ganze Unternehmen des Brummens und Strömens. Ist nicht vielleicht ihr Schweigen ein Zeichen der Arroganz des Unwissens, das bereit dafür ist sich über alle Elemente zu erheben und seine Kraft zu ignorieren? Auf diese Weise errichten zwei Elemente der Installation ein paradoxes Verhältnis des Nichtverbundenseins, des Ignorierens, vielleicht der verachtenswerten Vernachlässigung. Der einzige, der affiziert und durchsetzt, durch die Interaktion der Teile, die im Raum verstreut angesiedelt sind, ist der Betrachter. An ihn richtet sich auch der letzte Teil der Installation, eine schmale Tafel aus Plexiglas, auf der mit roten Buchstaben ihr Name geschrieben ist: Der kalte Wind ist kein Trost für deine blutige Nase – Hladan vjetar nije nikakva utjeha tvome krvavom nosu. Der Betrachter ist auch derjenige, der direkt betroffen ist durch das Wirken der Elemente, durch die Luft, die der kleine Ventilator aufwirbelt, aber der Autor schränkt durch den Textteil des Projektes sein Recht auf die Erbaulichkeit „des Windes“ ein, die der Miniaturventilator produziert. So ist er eigentlich das einzige frustrierte Überbleibsel der Realität in der Gesamtkonstruktion, ein paradoxer äußerlich/innerlich Mitwirkender des tänzelnden und ironischen Geschehens. Wenn die Luft eine unsichtbare, determinierende Komponente der ältesten Installation war, so wird seinen Platz in den zwei darauffolgenden das Wasser einnehmen. Und auch die Installation aus dem Gewölbekeller, dem Muster der ersten folgend, hält den Betrachter schon beim Titel auf, an den sie sich erneut direkt in der zweiten Person Singular wendet: Deine Augen sehen die Welt anders – Tvoje oci svijet vide drukcije. Die unsichtbare und in ihren Bewegungen materialisierte Luft der ersten Installation (die auf diese Weise ihrem Wesen folgt) wird jetzt durch eine unsichtbare, allerdings auf mehrere Arten betonte Anwesenheit des Wassers ersetzt. So kann man also bereits ganz am Anfang das innere Verbindungselement der zwei Installationen (neben der Augenscheinlichkeit der Köpfe selbst) erkennen:  die Luft ist schon von ihrem Wesen her dem Blick entrissen und man kann erst durch seine Vermittlung kontextualisieren (oder sie materialisieren durch die Überführung in einen anderer Aggregationszustand). Das Wasser ist immer anwesend, immer offen für den Anblick. Wieso entscheidet sich Davor Ljubicic dafür seine Präsens zu eliminieren und sie erst auf der symbolischen Ebene erreichbar zu machen? Die Antwort auf diese Frage muss man wiederum in der Vermittlung suchen. Erst die erahnbare Dimension des Elements Wasser wird das Voranschreiten der Erde auf den ersten Plan ermöglichen und damit auch ihre gleichwertige Lage in der Verflechtung der übrigen Elemente. Weil zum Unterschied zu Wasser und Luft, die wir in den Installationen von Ljubicic in ihrer Ursprünglichkeit sehen, fühlen oder erahnen können, ist das festeste und offensichtlichste Mitglied ihrer Tetrade ausschließlich nur zugänglich über das symbolische Lesen der Zeichen. Es wird dargestellt, nicht wie ein direktes Bild, sondern eher als eine Mischung aus Graphit und Honig, zweier Substanzen, die mit ihm nichts gemeinsam haben, aber die in ihrer Verwebung ein mimetisches Abbild von Flüssigkeit und Dreck offenbaren, von einer schwärzlich glänzenden Oberfläche eines vom Herbstregen durchnässten Feldweges, der aufgegraben ist durch die Furchen eines Pferdewagens. Die starke Assoziationsebene, die hinter dem Bild der fiktiven Erde versteckt ist, wird verstärkt durch die Arbeit der Künstlerhände an der Vermischung der Zutaten, durch die physische Anstrengung, die fast spürbar ist während des Werkens an der Bearbeitung der flüssigen Masse. Auf diese Weise wird eine innere Verbindung von Gegensätzen aufgebaut, zwischen einer Flüssigkeit, die unsichtbar gemacht wird, also noch viel unerreichbarer als das was ihr allernatürlichster Aggregatzustand suggeriert und das Simulakrum der Erde, die zuerst fest und dann durchnässt ist. Der Dialog der Elemente bereichert den Kontakt, den jeder von ihnen für sich mit den Köpfen errichtet und zu einer paradoxen stummen Polyphonie führt. Man kann erahnen, wovon die unhörbaren Stimmen in der Finsternis der Kellerräume berichten. Definitiv ist das Verbinden der Elemente dann wieder in der Form des Bootes selbst realisiert: dieser Gebrauchsgegenstand, der unmittelbar mit dem Wasser in der Installation verbunden ist, wird auf dem Trockenen zurückgelassen – außerhalb der Berührung mit seinem natürlichen Element Wasser und wird defunktionalisiert durch die Mischung, mit der er überschmiert ist. Honig und Graphit, ein Phantasmus der Erde, auf die Seiten des Bootes aufgetragen, in seinen Boden eingewebt, optisch hervorgehoben durch den ungewöhnlichen dreckig-gelben Glanz des Schwarz, kontrakarieren die vermutete, jedoch unvorstellbare Transparenz des Wassers, versteckt irgendwo auf der anderen Seite, an einem Ort, der unergründlich, geheimnisvoll, grotesk-fantastisch ist. Die Verwunderung in den leeren Augen der zwei Beobachter, drängt die starke Vermutung auf, dass auch unsere Augen die Welt anders sehen. An diesem Platz stehen zu bleiben, würde heißen, dass man die Ungerechtigkeit der Komplexität der Installation dort ablagern würde. Es ist notwendig sich zu einem anderen Raum des mittelalterlichen Kellers zu bewegen. Das ist ein ausgelagerter Raum, zu dem die Köpfe keinen Zugang haben, und unseren Augen, unserem Blick ist es freigestellt sich ein Urteil über das vor Augen Geführte zu bilden. In ihm ist der klassische, zumindest der verdrehte Betrachter seiner Pflichten entledigt und alles ist den modernen Medien untergeordnet. Der Betrachter betrachtet nicht mehr den  Betrachter des Voraugengeführten (ein Zugang, den Davor Ljubicic bis zum Äußersten zugespitzt hat in seinem Werkszyklus unter dem Titel Galerie schwarzer Punkt, in jenem Moment, in dem der Besuch der Ausstellung sich völlig verausgabt in der Handlung, bei der die Betrachter sich beobachten, sowie auch ihre Mitbetrachter in dem entleerten Galerieraum), aber es ist ihm erlaubt, dass er den Künstler in Form einer Scheinwelt sieht, wie auch eine neue Replik des überfärbten Bootes, dieses Mal eher absurd als grotesk. Zwei Jungs, gefilmt mit einer 8mm-Kamera, tragen zwischen sich auf ihren Köpfen ein buntes Gummiboot. Eine ergrünte Wiese, übervoll mit Feldblumen, das Boot ist wieder aus seiner natürlichen Wasserumgebung entrückt, aber er bringt es zurück in die Welt der idyllischen Kindheit, der melancholischen Erinnerungen (die 8mm-Kamera als ein Symbol des einstigen Bewahrens der Familienerinnerungen, die im Jetzt durch unhörbare Camcorder ersetzt wird, durch kalte digitale Kameras), indem diese Erinnerungen am äußersten Rand von Kitschkunst projiziert werden. Eine aufmerksamere Betrachtung wird zeigen, dass von nur ein paar Metern Film die Rede ist, der als Endlosband projiziert wird. Aber der Fernseher, auf dem der Videofilm gezeigt wird (ein zeitgenössischeres Medium zur Bewahrung der Erinnerungen), ist unmittelbar vor die Projektionsleinwand gestellt. Die Hände des Arbeiter-Künstlers, des Meisters des Kreierens von Erde stellen sich einander in der Tatsache des simultanen Vorhandenseins der Idylle einer Frühlingswiese entgegen. Diese Gleichzeitigkeit dient dann der Abschaffung der Grundsätze  des Massenproduktes der bunten Familienlandschaft, präziser ihrer Auflösung während des Prozesses der schwerer künstlerischen Arbeit.  Mit etwas Interpretationsfreiheit könnte man sagen, dass der Künstler sich selbst zwei Mal vor Augen führt: in der plakativ zurückhaltenden, verspielten Handlung der Rückkehr vom Wasser, die aus der Kindheit rekonstruiert wird und in der Tat des reifen Schaffens, wo das Mischen von Graphit und Honig, mit dem Ziel der Produktion einer präsenten Künstlererde, wo sich das eine durch das andere fortsetzt, wo das eine in das andere überfließt, und am Ende beide schließlich ineinander versinken.  Die Erinnerungen an die Kindheit, die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies der Unschuld, das Heimweh nach verschwundenen Räumen (die Bewegung-vom-Wasser, die ein Boot auf einer Wiesen-Erde suggeriert), werden gemildert durch das Bild einer schweren, jedoch kreativen Arbeit, in eins verschmolzen mit der verschwundenen Welt. Das Erste und das Zweite, räumlich voneinander getrennte Teile der Installation treten so auf diese Weise in einen Enddialog: über den Sinn des Verlustes und des erneuten Findens, dem Blick ins Leere und die Entleerung der Gegenstände, die ihren Verwendungszweck verloren haben. Am Ende: über Elemente in denen Werte symbolisiert werden, völlig in ihrer neuen Bedeutung, abgesondert von ihrer ursprünglichen Substanzialität, und wiederum das Zurückkehren in den Schoß der philosophischen Reflexion. Das Wasser als Vergänglichkeit, die Erde als Beständigkeit. Eine alte Wahrheit, angereichert bis zur sinnlosen Banalität durch eintöniges Wiederholen,  in einem erneuerten Kontext kehrt sie zurück zur Dialektik ihrer eleganten und nostalgischen Schönheit, die bereichert ist durch die Kraft des grotesken und absurden Humors, der in dem Vorhandensein des Unsehbaren selbst beinhaltet ist, zum Negieren des einfachen Bemerkens, zum Suchen nach einer Möglichkeit des Erkennens dessen, was verdeckt ist, aber trotzdem anwesend, was für unaufmerksame Augen durch einen undurchsichtigen Schleier verborgen liegt und für aufmerksame sichtbar ist in all ihrer Komplexität und Vielschichtigkeit. Die letzte Installation, mit dem Titel 5 Schränke – 5 Köpfe – 5 Stimmen, wird er das Überfließen und das simultane Wechseln der Bestandselemente ausnützen. Sie ist von neuem in zwei Räumen realisiert. Im ersten befinden sich die fünf bereits bekannten Köpfe, präzise aufgezeichnet mit einem Graphit-Bleistift, fast identisch (soweit das überhaupt möglich ist beim Prozess der individuellen künstlerischen Arbeit) für diejenigen, die wir in den beiden vorhergeheneden Phasen damit bekannt gemacht haben. Dieses Mal sind sie viel zahlreicher und schauen in dieselbe Richtung, eine Einheit suggerierend. Auf dem Fußboden des Raumes sind Schränke aufgestellt: von ihnen gibt es fünf, und sie stehen zahlenmäßig mit den Zeichnungen in einem parallelen Verhältnis. Das, was sie ihnen noch näher bringt, ist das Material – Graphit – mit dem sie „umgekleidet“ wurden und so auf diese Weise, verwandt mit den vorhergehenden Installationen, erneut aus dem Teil der Umwelt „herausgezogen“ sind, zu dem sie, von der Natur der Dinge her, gehören müssten. Eine zusätzliche Dimension der Verfremdung ist beinhaltet in den deformierten Stimmen, die aus der Tür des Schrankes herauskommen, dessen Inneres durch gelbe Glühbirnen gespenstisch beleuchtet ist. Den Eindruck, den der Betrachter bekommt, ist wieder irgendwo im Bereich des physischen Unbehagens angesiedelt, der jedoch etwas abgeschwächt wird durch die Komik der Köpfe und die Komik der Stimmen. Diese Komik ist dann wieder, erneut in die Richtung des Grotesken ausgerichtet, sobald man die Bedeutung des ausgesprochenen Textes erfährt: „Wer weiß denn schon, wie es in mir aussieht? Will nicht, muss!“, die Wörter des schließlich gefangen genommenen Kindermörders aus dem Film von Fritz Lang M – eine Stadt sucht ihren Mörder. Der zweite Teil der Installation ist vom ersten, der auf den steilen Stufen aufgestellt ist, die unter dem Gewölbebogen irgendwohin in die Eingeweide des Gebäudes führen, ausgesiedelt. Die Rede ist von einem Video-Film, der mit einem Beamer auf eine Leinwand projiziert wird. Die Installation folgt der Praxis, die bereits aus der vorhergehenden bekannt ist: das Überlappen von zwei Bildern, zwei Filmaufnahmen, die eine in die andere. Auf der ersten wird der Künstler selber sichtbar gemacht, in irgendeinem Badezimmer, in kniender Pose, mit Wasserstrahlen, die seinen Körper entlang fließen, der durch ein völlig durchnässtes Hemd bedeckt ist. Die Lage ist unendlich unangenehm, sie ruft eine Assoziation mit der Tat der Autoflagelation hervor, bei der sich Ljubicic, vielleicht durch die Reinigung, dem Maltretieren des Körpers von der Seite der elementaren und unaufhaltsamen Kraft des Wassers her, unterwirft. Der einzige Ton, der noch vom Videoband stammt ist das vereinzelte Abschütteln des Künstlers, das von Atemzügen begleitet wird. Man braucht einige Zeit um zu begreifen, dass es sich um ein Endlosband handelt – eine Herangehensweise, die ident ist mit jener, die bei der Vergegenwärtigung der Hände des Künstlers und der Jungen, die das Boot aus der vorigen Installation tragen, angewendet wird. Die zweite ist, dieses Mal veranschaulicht durch ein Bild und einen originären Ton, ein Ausschnitt aus dem Film von Lang, in dem der endlich entlarvte Kindermörder, gespielt von Peter Lorre, versucht vor einem besonderen Kriminalgericht seine Unschuld zu beweisen, in dem er sich auf die inneren Triebe, die ihn zu den begangenen Morden gezwungen haben, beruft. Das intensive Geräusch des Wassers, das sich über den Körper des Künstlers ergießt, wird, sozusagen, überbrückt durch die durchdringenden Worte von Lorre: «Will nicht! Muß!», in denen die von ihm selbst inszenierte patologische Notwendigkeit seiner bestialischen Taten nachklingt. Auf diese Weise entsteht ein Verhältnis zwischen zwei scheinbar arbiträrern Teilen der Installation: die deformierten Stimmen aus dem Schrank, die die quälende Sequenz von Lorre wiederholen, die sich auf groteskt-fantastische Weise mit der Stimme des Künstlers selbst vermischen und das dritte akkustische Element – die Atemzüge von Ljubicic, das Abschütteln des Wassers vom nassen Hemd und dessen eindringliches Rauschen – wiederholt auf eine unartikulierte Weise noch einmal die mühsame psychologische Anspannung, die die Szene aus dem Film dominiert, unterstrichen von der ausdrucksvollen Mimik des Schauspielers und der Statisten. Die Schränke, die Stimmen, das Geräusch des Wassers, die Akustik, die mit der Optik zusammenfällt, vielleicht sogar über sie erhoben wird, in dem Prozess der Formierung einer beklemmenden Atmosphäre des Individuums, das durch die feindseligen gesellschaftlichen Strukturen in Gefahr ist. Die Determiniertheit von Lorre´s Schuld durch die inneren psychologischen Bedingungen, die abgesonderte Unschuld des Autors der Installation wird bestraft durch die brutalen Wasserstrahlen, die deformierten und unartikulierten Stimmen, die aus dem Schrank herauskommen, in dessen Tiefen sich, gefangen und begrenzt, Elemente befinden, die immer dieselbe basische Situation hervorrufen: die Abgesondertheit des Einzelnen und seine bedingungslose Auslieferung sowohl an äußere, wie auch an innere Kräfte, die sich auf dem breiten Spektrum von Instinkt, Selbstreflexion bis zur Verschlossenheit bewegen. Und natürlich, die zentrale Rolle des Wassers, dieses Mal optisch komplett anwesend, aber ohne positive Dimension der Transparenz, der Trägerin des Erinnerns (oder des Vergessens?), die man kennenlernen konnte im Teil Deine Augen sehen die Welt anders. In diesem Projekt empfindet das Wasser in seiner dunklen, tiefen Dimension voraus. Es ist angenähert an die tiefe, melancholische Erde. So werden in diesem Zyklus des Projektes die Grundelemente, die in der antiken Lehre das Grundgerüst der Harmonie des Lebens gebildet haben, in einer völlig umgedrehten Rolle, die abgesondert von des bereits verbrauchten Symbolismus der vormodernen Wissenschaften und Künste ist. Aber das erneuerte Bild, mit dem man seine verlängerte Beheimatung in der Natur suggerieren wollte, in einer etwas veränderten Dimension, kann nicht abgeschlossen werden, ohne noch einer wichtigen Auslassung: nämlich, das vierte Element Feuer, das außerhalb des künstlerischen Horizonts geblieben ist (wenn man das Blut herausnimmt, die Körperflüssigkeit, das es parallelisiert, und das man im textuellen Teil der ersten Installation, in deren Titel oder dann im „Blutfluss“ der nichtrealisierten Installation spüren konnte). Vielleicht ist das, wenn man an die teuflische Verspieltheit, die hinter dem spöttischen Humor von Davor Ljubicic verborgen liegt, denkt, auch besser so. Gegen die angenommene dämonische Natur so einer potentiellen Installation würden nicht nur die unschuldigen Besucher von gewöhnlichen und prosaischen Kleidergeschäften protestieren. Man kann sich den Missmut der Feuerwehrmänner vorstellen, nachdem sie erfahren würden, dass ihre Intervention, die durch die Anrufe von geistesgegenwärtigen und disziplinierten Bürgern, eigentlich nur ein Teil des Spieles eines modernen Panurgen ist, der vom Zwang der Scholastik des 21. Jahrhunderts befreit ist.

Dr. Davor Beganovic

Deutsche Übersetzung, Mag. Sabine Pawischitz

 

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