Davor Ljubičić  

Davor Ljubicic – „O.T. (G-B)“

Die Ausstellung mit dem Titel O.T. (G-B) von Davor Ljubicic zeigt neue Arbeiten des Künstlers aus den Jahren 2003/2004. Meist großformatige und mehrteilige Arbeiten entstehen durch ein spezielles vom Künstler erfundenes Verfahren, in dem die physische Komponente eine wichtige Rolle spielt, genauso wie in anderen Arbeiten des Künstlers, wo Video, Super 8 oder andere Mittel zum Einsatz kommen. Diese Arbeiten auf Büttenpapier mit Graphit, Graphitpulver mit doppelt gekochtem Leinöl und Ölfarbe sind als Einzelteile und Teile einer umfangreichen Serie zu sehen.

O.T. (G-B)

Ein seltsamer Titel für eine Ausstellung – O.T. (G-B). „O.T.“ können wir leicht identifizieren als „Ohne Titel“. Künstler bezeichnen ihre Werke öfter so, weil sie für ihr Werk keinen konkreten Titel finden, weil ihrer Meinung nach ihre Kreation nichts verbal Vermittelbarem entspricht (also sehr abstrakt ist) oder sie auch durchaus einmal auf spontane Einfälle eines Galeristen, Kunden oder Ausstellungsbesuchers warten. Aber eine ganze Serie?
Und dann gibt es ja noch einen Widerspruch im (Nicht-)Titel: Denn das in Klammern stehende „G-B“ kommt uns doch vor wie eine Erläuterung, also wie ein Ersatz- oder Untertitel. Dieser scheinbare Widerspruch löst sich schnell auf wenn man weiß, dass G-B „Gewalt-Bilder“ heißen soll.
Die Bilder dieser Serie bekommen keine Eigennamen vom Künstler. Es sind Kompositionen mit materialspezifischen, zeichnerischen und farbmalerischen Elementen, die sich in gewisser Weise ähnlich sehen und doch stark differenziert sind. Was sie ähnlich macht, geht auf die spezielle Technik zurück, mit denen der Farbauftrag vorgenommen wird. Und genau da kommt die „Gewalt“ in die „Bilder“.

Wie seit gut 10 Jahren bei Davor Ljubicic üblich, mischt der Künstler Graphit mit Graphitpulver und doppelt gekochtem Leinöl zu seinem bevorzugten Malmittel. In früheren Serien wurde dieses Gemisch (das als weiteren Bestandteil noch Honig enthielt) dann mit Pinseln pastos aufgetragen. Materialaufwürfe an den Pinselrändern ließ er stehen, um deutliche dreidimensionale Effekte zu erreichen, also aus der bemalten Fläche in den Raum hinauszutreten. Unterlegt wurden diese Farbaufträge mit Zeichnungen, deren Element die Linie oder die Schraffur waren, und die teilweise oder gänzlich mit Ölfarbe flächig unter- oder übermalt und – meist, im Kontrast zu den zeichnerischen Bestandteilen der Komposition, präzise strukturiert wurden. Alle diese bildgestalterischen Grundbedingungen Ljubicicer Malerei finden wir auch in den hier gezeigten „Gewaltbildern“. Im Vergleich (den die Betrachter dieser Ausstellung wahrscheinlich selbst nicht anstellen können) mit den früheren Bildern und Bildserien zeigen sich allerdings zwei bedeutsame Unterschiede. Zum einen werden die stets an Architektur im weitesten Sinne erinnernden Strukturen der Zeichnungen und Untermalungen immer stärker elaboriert, nicht nur variiert, und eröffnen gerade in den (mehrteiligen) Großformaten imaginäre Erinnerungen an Städte- und Festungsbau wie deren Degeneration oder (Selbst)Zerstörung in früheren historischen Epochen, die noch nie in dieser Deutlichkeit aufschienen. Und zum anderen wurde die Technik des Farbauftrags für das Graphitgemisch wahrhaftig radikal verändert.

Der Pinsel wird durch Feinstrumpfhosen oder -strümpfe als Farbaufträger abgelöst. Die langen Strümpfe werden also teilweise mit dem Graphitgemisch gefüllt, sie sind dann vergleichsweise schwer und können nicht mehr wie ein Pinsel geführt bzw. dirigiert werden. Davor Lubicic baute sich in seinem Atelier eine Arbeitshöhle aus bodenlanger Kunststofffolie als Spritzschutz mit einem entsprechend großen Tisch darin, auf dem das schwere Büttenpapier befestigt werden konnte. Nach einigen Probeläufen war dann die Schwing- und Schlagtechnik soweit ausgereift, dass mit dem gezielten, präzisen Farbauftrag auf die bereits vorliegenden Mischtechnik-Blätter begonnen werden konnte. Die damit verbundenen Schwierigkeiten wird kaum ein Betrachter der fertigen Bilder ermessen können. Was er jedoch unschwer erahnen wird ist der Kraftaufwand, das Element der physischen Gewalt, das dahinter steckt.
Davor Ljubicic’ Kunst impliziert immer psychologische, soziologische und aktual-gesellschaftliche Aspekte, obwohl er sich nicht explizit als „politischer“ Künstler versteht. In mehreren Installationen der letzten Jahre, in denen große, zum Teil surreal und metaphysisch wirkende Objekte mit Videoprojektionen kombiniert wurden, sprach er sowohl die individuelle physische und psychische Gewalt als auch die indirekte, strukturelle Gewalt innerhalb unserer Gesellschaft an. Im analytischen Herangehen an diese Werke ließ sich dies stets mit guten Argumenten aus ihnen herauslesen und zugleich wieder in das große Rahmenthema „Kunst und Künstler in der Gesellschaft“ interpolieren. Nie jedoch wurde dabei ein menschlicher bzw. unmenschlicher Gewaltakt bildlich dargestellt. Erst die Analyse der Komposition vor deren historischen und theoretischen Hintergründen machte das fiktive Gewaltgeschehen hinter dem Gezeigten zur gesellschaftlichen Realität. Das erlebt in den hier ausgestellten Bildern eine spezifische Transition.
An einem Beispiel aus Davor Ljubicic früherem Schaffen soll dazu ein erster Hinweis entwickelt werden. 1998 zeigte er in Konstanz eine Serie von riesenformatigen Bildern von ca. 5 auf 3 Metern. Es waren mit dem Honig-Graphit-Gemisch und der Pinseltechnik angefertigte Strukturbilder auf Papier. Obwohl deutlich auf gemalte primäre und materialbedingt sekundäre Strukturen und deren Lesbarkeit und Aussagefähigkeit hin komponiert, konnte die Analyse nicht umhin, auch den Gewaltbegriff in die Interpretation einzubeziehen. Und zwar durch den Hinweis, dass das zarte Papier durch den massiven Farbauftrag in mehr als einfach pastoser Technik buchstäblich, wenn auch in einem nicht-sexuellen Sinn, vergewaltigt wurde. Aber nur die atemberaubende Präzision der Ausführung der Arbeiten verhinderte in Wirklichkeit die konkrete Vorstellung eines rauschhaften Triebgeschehens mit unbarmherziger Gewaltanwendung und Penetration, wie sie bei einer sexuellen Vergewaltigung stets evoziert wird und natürlich auch – und leider – real ist.

Unseren hier gezeigten Bildern mangelt es nun keinesfalls an Subtilität und Präzision bei Materialwahl und Ausführung. Sie bekommen nur eine zusätzliche Bestimmung verliehen, und das ist die ausdrücklich so gewollte Anwendung von physischer Kraft und gezielter Gewalt, die die dreidimensionalen Effekte erreichen und dadurch die Interpretation in eine ganz bestimmte Argumentation lenken sollen. Dabei muss zugleich klar sein, dass diese Gewalt nie an und für sich roh sein kann. Strukturen wie die hier zu sehenden lassen sich nicht in blinder Raserei erzielen. Trotzdem ist weites Ausholen und kräftiges Zuschlagen mit den materialgefüllten Strümpfen absolut notwendig, um sie überhaupt strukturorientiert führen zu können. Es ist bereits die Idee der Gesamtkonzeption, die Gewaltanwendung impliziert. Davor Ljubicic umgeht damit einen eventuellen Vorwurf, wirklicher Gewalttäter – wenn auch nur in der Kunst – zu sein. Was er in Wirklichkeit tut ist, Kunstwerke als Systeme struktureller Gewalt zu entwerfen, die bei ihrer Ausführung der real-physischen Gewalt bedürfen. Und dies drückt sich schließlich im Ergebnis dadurch aus, dass sich auf dem Papier und dem vorgezeichneten und vorbemalten Untergrund Manifestationen finden, die an Explosionen, Ausbrüche, Einschläge, an Zerstörung, Zerbersten und magmatisches Zerfließen erinnern. Davor Ljubicic’ Gewalt-Bilder erinnern durch die implizite Anwendung physischer Gewalt nun auch ganz real an die natürliche und gesellschaftliche Gewalt, die uns stets umgibt, die uns mitprägt und wesentlicher Bestandteil unseres Menschseins und unserer Kultur ist.

Dr. Johann-Peter Regelmann, 2004

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